Die Mitte

Das zeitlose Bewusstsein

Je stärker das Bewusstsein verfeinert wird, desto größer wird die Übereinstimmung mit der natürlichen Welt  Dalai Lama

          Wenn die Seifenblase blatzt.

Das Gewahrsein für den Augenblick, die Wahrnehmung der feinen Sinne ist einer der wichtigsten Schlüssel um eine stabile Mitte aufrechtzuhalten. Es ist der Augenblick in dem die Seifenblase blatzt. Es ist der Moment in dem wir den Atem spüren. Es ist der Moment wo wir mit allen Menschen dieser Erde über den Atem verbunden sind. Wir alle atmen zur gleichen Zeit, jetzt in diesem Augenblick. Im Augenblick in diesem Bruchteil einer Sekunde ist die Welt in Ordnung  sind die Dinge perfekt so wie sie sind. Die Dinge in uns und um uns sind für den Moment im Gleichgewicht in der Mitte. Alle Gedanken des Sorgens und Müssens sind in diesem Moment nicht existent. Wenn wir uns auf den Augenblick konzentrieren spüren wir eine Gefühlsqualität die unseren Bewußtseinsgrad wiederspiegel. Wenn wir im bewussten Sein sind, wird alles andere um uns herum bedeutungslos. Während wir vorher in der Bewusstlosigkeit ohnmächtig, also ohne Macht waren, so hilft uns der Zustand des Bewußt-seins das Leben aus uns selbst heraus harmonisch und zu uns und unseren Anlagen passend zu gestalten. Im bewussten sein können wir ohne Reibung und ohne kämpfen zu müssen in Freiheit handeln. Es genügt bereits die Aufmerksamkeit auf die Stille, den Atem und das bewusste Sein zu lenken um den Fluß der Wunder des Lebens wieder in Gang zu setzen. Je mehr, je tiefer und je inniger wir uns mit dem Sein verbunden fühlen, desto stärker  sind wir in der Mitte verankert. Wenn es nun gelingt, sich dem Sein nicht nur verbunden zu fühlen sondern sich ihm auch vertrauensvoll zu überlassen, desto harmonischer und passender stellt sich uns unsere Umwelt dar. ( wie innen so außen). Das Gewahrsein dessen was unsere Sinne uns mitteilen hilft uns die Fülle des Augenblicks zu erfassen und zu erkennen, das wir alles bereits haben was wir zu unserem Glück brauchen. Nichts fehlt.

Der perfekte Augenblick

Tief am Grunde des Augenblicks wartet unser wirkliches Sein. So wie die Auster am Boden des Meeres. Ist das Wasser ruhig und klar können wir sie sehen, ist es unruhig und aufgewühlt durch das Geschwätz unserer Gedanken und Nöte, erblicken wir sie nicht obwohl sie weiterhin da ist. Tauchen wir hinab an die tiefsten Stellen der Möglichkeit berühren wir nicht nur die Austernschaale sondern erkennen plötzlich die darin schlummernde wunderschöne Perle. In diesem Moment kommen wir mit unserer ureigensten Göttlichkeit in Berührung.  Dieses bewusste Sein stärkt die Mitte. Aus der Mitte heraus fließt reine Lebenskraft die Erholung, Regeneration und Heilung gewährt.

Dies alles können wir realisieren indem wir unsere Aufmerksamkeit nicht nach außen sondern wie in der Meditation nach innen richten. Das totale Loslassen aller Anhaftungen an Ängste, Sorgen und konditionieren Glaubenssätzen befreit zuvor gebundene Energie die uns nun verstärkt zur Verfügung steht um unser geistig spirituelle Potential zu nutzen und Schöpfer einer neuen Realität zu werden. Die Versöhnung mit dem Hier und Jetzt, das bedingungslose Annehmen dessen was ist schafft Frieden und Freiheit.

Wer denkt ist nicht in Harmonie, denn nur wer in Harmonie ist, denkt nicht daran in Harmonie  zu sein.

Was bleibt zu tun. Wir sollten dem Verstand mangels Qualität zügeln und ihm stattdessen häufiger die Rolle des Beobachters zuweisen. Hier soll er als Zeuge lediglich beobachten ohne einzugreifen, zu urteilen oder zu werten. Jeder so bewusst erlebte Augenblick wird damit zu einem Zaubermittel, zu einer Chance tiefer wahrzunehmen und völlig neue faszinierende Erfahrungen zu machen. Die neue Wahrheit die wir aus der Mitte heraus erfahren sind wir aufgefordert zu leben.

 

Der Taxifahrer
Stellen Sie sich vor, sie besteigen ein Taxi z.B. in Indien. Das Taxi ist ein uraltes abgerundetes sehr lustig aussehendes Gefährt. Ebenso ist der Taxifahrer ein Unikum. Er lacht verschmitzt, trägt einen riesigen blauen Turban und hat die Dudelmusik seines Radios auf voller Lautstärke laufen während er fröhlich mit  dem Kopf schunkelt.

Sie sitzen entspannt auf der Rückbank, die Arme zu beiden Seiten weit ausgestreckt und sie fühlen sich pudelwohl während der Fahrer sie durch Delhi, durchs Leben kutschiert.  Die Fenster sind offen. Mal schauen sie links heraus, mal rechts und beobachten.  Mal lachen sie, mal weinen sie. Sie sind völlig entspannt während draußen die Landschaft, die Menschen, das Leben vorbeizieht. Bereitwillig steigen sie aus wenn der Fahrer das Taxis zum Stehen bringt. Sie tun die Dinge die getan werden müssen, steigen wieder ein und fahren weiter.

 

Sie haben aufgehört den Taxifahrer ständig anzustupsen und zu schütteln, ihm vorzugeben schneller oder langsamer zu fahren, da oder dort abzubiegen und immer wieder anzuhalten weil sie glauben da und dort eingreifen zu müssen. Auch haben sie aufgehört, sich weit aus dem Fenster zu lehnen den Menschen etwas zuzurufen und hier oder dort am Gras zu ziehen in der Hoffnung es wächst dadurch schneller.

 

Nein sie sind zum Beobachter geworden und haben sich dem Fluss des Lebens angepasst. Sie sind voller Vertrauen, dass der Fahrer (Gott= ihr höheres Selbst) zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort anhält und sie die Dinge tun lässt die getan werden müssen. Sie sind der Hans im Glück, der nicht mehr denkt, sondern leichten Sinnes mit einem Bewusstsein gesegnet ist das ihm zur richtigen Zeit alles nötige zur Verfügung stellt.

 

Die Lebenskunst des Tao, des taoistiscchen Weges „in“ der Mitte, gleicht in gewisser Weise dem Märchen von Hans im Glück. Es beschreibt in einfacher aber sehr eindrucksvoller Weise, wie ein Mensch selbst in der heutigen Zeit leben kann, um sich ganz im Einklang mit den Gesetzen der Natur zu bewegen. Zweifellos stellt dies den Menschen in unserer Gesellschaft vor eine immens große Herausforderung.

Gelingt es jedoch nach und nach Aspekte dieser Lebenseinstellung zu übernehmen, so sind Gesundheit, Lebensintensität und Lebensfreude die reiche Belohnung.

 

 

 

Leben ist eine Kette von Loslösungen- jede notwendig auf dem Weg zum Heil.

Die Geburt verlangt Abnabelung von der Mutter, das Heranreifen die von den Eltern, die Lebensmitte vom Getümmel der Welt, der Tot endgültige loslösung (R.Dahlke)

 

 

 

Im Fluß des Lebens

Wer je im Leben eine tief greifende Existenzkrise durchgemacht hat, erinnert sich vielleicht daran, dass die Wende zum Besseren genau in dem Moment eintrat, da man aufgehört hatte zu kämpfen. Aufhören mit sinnlosen Kämpfen, aufmerksam leben im Augenblick, sich nach dem Fluss des Lebens richten, statt sich gegen ihn zu stemmen, das bedeutet „wu wei“. Wörtlich übersetzt heißt es „Nichtstun“ oder „Nichthandeln“, was jedoch nicht bedeuten soll, dass man träge und entschlusslos oder lässig sein soll. Es bedeutet lediglich, dass man handelt ohne einzugreifen um die Dinge geschehen zu lassen. Es ist die Fähigkeit, das Steuer des Lebens jener Macht zu überlassen, die eine Dimension von uns selbst ist und die Laotse einst das Tao genannt hat.

In der Dialektik des Taoismus ist von Menschen die Rede, die die Qualität des „unbehauenen Klotzes“ besitzen. Die Welt des unbehauenen Klotzes ist eine Welt voller Natürlichkeit, Absichtslosigkeit, Egozentrik, frei von Motiven und jeglichem zielbehafteten Streben. Man lebt gelassen, ist natürlich und offen für die Bewegungen des Daseins und empfängt alle Ereignisse mit offenen Armen. Man kämpft nicht mehr oder zerbricht sich den Kopf darüber wie Dinge am besten zu lösen seien, vielmehr handelt man spontan und intuitiv im Sinne des Tao.

Der Mensch des Tao lebt  befreit von  Vergangenheitsereignissen und  Zukunftssorgen vollkommen in der Gegenwart, bestrebt jeden Augenblick des Lebens achtsam aufzunehmen und zu genießen. Er geniest das Leben dort wo es stattfindet: Hier und jetzt. Er lebt und genießt vollkommen in der Gegenwart. Er lebt das Gegenteil dessen was die meisten von uns ( mich eingeschlossen) leben. Er lebt wie Hans im Glück in Leichtigkeit und Sorglosigkeit.

Er versucht die Dinge um sich herum nicht zu werten, sondern nimmt sie hellwach und voller Aufmerksamkeit betrachtend an, so wie sie sind. Er lässt Gedanken kommen und gehen, ohne sich mit ihnen zu befassen oder sie festhalten zu wollen. Er gestattet ihnen nicht sich einzunisten und sich wie früher breit zu machen. Er ist wie der Herbstwind, wenn er die braunen Blätter bewegt. Er gerührt sie, aber nimmt sie nicht weit mit.

Der Mensch des Tao trifft seine Entscheidungen intuitiv und spontan ohne sie gedanklich zu analysieren. Auf diese Weise ist es dem kalkulierendem Verstand unmöglich, sich in Opposition zum Fluss des Tao zu stellen. Er weiß, dass er den Herausforderungen des Lebens nicht mit Kampf und Anstrengung begegnen kann, denn dies würde nur bedeuteten, den Dingen mit unzulänglichen Mitteln zu begegnen statt sie jener Macht zu überlassen, die die Dinge viel besser zu lösen weiß. So gibt er sich dem Fluss des Tao hin. Der Mensch des Tao kennt keine Ungeduld, überall wo er sich befindet ist er angekommen, ist er am Ziel, nämlich bei sich selbst. Er wartet auf nichts, was geschieht, geschieht und dieses nimmt er an. Er lebt von einem Tag zum nächsten. Er will nichts Besonderes werden, besitzt keinen Ehrgeiz nach Ruhm oder Anerkennung. Ihm genügt sein eigenes erfülltes Leben.

Die Heilkraft des „Jetzt und hier“

„Der Weg und das Ziel sind eins“, heißt es im Zen ebenso wie der Weg von Hans ein Weg im Glück und nicht zum Glück ist. Wir brauchen nirgendwo hinzugehen. Das Tao liegt direkt unter unseren Fußsohlen. „Mach nur deine Augen auf und sei gegenwärtig! Sei bewusst bei allem, was du tust, jetzt und hier“ Doch erst wenn wir mit unserem ganzen Sein, mit Körper, Atem und Geist, „jetzt-hier“ sind und unseren Atem wahrnehmen dann werden wir auch an dem teilhaben, was sich „jetzt-hier“ ereignet. Wenn du wirklich gegenwärtig bist, dann nimmst du das wahr, was „jetzt-hier“, in diesem Moment geschieht.
Wenn du jedoch im Morgen bist und schaust in die Zukunft – voller Hoffnung oder Furcht, dann bist du nicht hier, mit anderen Worten: Du bist überhaupt nicht anwesend. Dann kannst du nicht das erkennen, was jetzt „ist“. Wenn du in der Vergangenheit bist, in der Erinnerung – sei sie negativ oder positiv -, dann kannst du das nicht wahrnehmen, was sich „jetzt-hier“ in diesem Augenblick offenbart. Denn in jedem Augenblick – ständig, ohne Unterbrechung – offenbart sich das was im Moment „Wirklich“ ist, so betont Meister Eckhard immer wieder mit Nachdruck.

Der chinesische Zen-Meister Nansen (8.Jh.) wurde einmal von einem Schüler gefragt: “Was ist der wahre Weg?“ Und er antwortete: „Der alltägliche Weg ist der wahre Weg, esse wenn du isst, sitze wenn du sitzt und gehe wenn du gehst- sei da wo du gerade bist.“       
       Mitten in der Welt leben und doch frei sein von der Welt, das ist der „große Zen-Weg“ zur Erleuchtung. Das ist das wahre, ursprüngliche Zen der alten chinesischen Meister. Das ist das lebendige Zen, das mitten in der Welt bei allen täglichen Verrichtungen gelebt wird. Deshalb sagt der chinesische Zen-Meister Fo-yan (12. Jh.): Wenn du Farben siehst und Laute hörst, ist dies eine gute Zeit zur Verwirklichung. Wenn du isst und trinkst, ist auch dies eine gute Zeit zur Verwirklichung. All dies sind wunderbare Gelegenheiten zur Verwirklichung bei allen Verrichtungen des alltäglichen Lebens.

Alle Menschen streben nach Glück und wollen Leid vermeiden. In unserem Bemühen, zu den scheinbar von uns getrennten Objekten in Beziehung zu treten, schaffen wir immer wieder jenen Dualismus, aus dem Verwirrung und Leiden entstehen. Wer sich jedoch der Vergänglichkeit alles Irdischen und der aus der Anhaftung an das Vergängliche resultierenden Leidhaftigkeit bewusst geworden ist, wird das, was die breite Masse der Menschen zum Inhalt ihres Lebens, Denkens und Handelns gemacht hat, nur noch als „sinnlose Zeitverschwendung“ betrachten.
       Er wird kein Verlangen mehr verspüren, sich – wie ein Hamster im Laufrad – in sinnloser Aktivität zu bewegen. Er ist zu jener Klarsicht gelangt, die ihm all das hat bewusst werden lassen, worüber die Aufmerksamkeit der meisten Menschen nur oberflächlich dahin gleitet.

In der Tat ist unsere Welt zwar kein ungetrübtes Freudenfest, aber letztendlich bleibt es doch unser Standpunkt der darüber entscheidet ob wir die Welt als Vorhof zum Schlachthof oder als unbehauenen Klotz wahrnehmen der nur darauf wartet von uns geformt zu werden. Die Energie folgt der Aufmerksamkeit , wir selbst können unser Bewusstsein ausrichten auf die schönen und freudigen Dinge, die das Leben so lebenswert erscheinen lassen und so unsere Lebenskraft stärken. Wenn es gleichzeitig gelingt die Polarität zu akzeptieren, anzunehmen, dass  egal welche Freude uns das Leben auch bescheren mag, jedes Glück, ja alles was wir lieben,  letztendlich nur von begrenzter Dauer ist.

Die Falle des positiven Denkens
Jedes positive Denken und wünschen stellt ein Nicht-Einverstandensein mit der gegenwärtigen Situation dar und verstärkt die im Bewusstsein verankerte Überzeugung der Bedürftigkeit und des Mangels. Sind wir bereit unsere Einstellungen und Überzeugungen zu erkennen und die Botschaften der zufallenden Situationen zu durchschauen so haben wir den Schlüssel für die Veränderungen unserer Realität in der Hand. So lange wir jedoch von einem Guru zum nächsten laufen, Zielfindungsseminare besuchen und jede esoterische Neuerscheinung kaufen laufen wir Gefahr am eigentlichen Thema des Lebens vorbei zu laufen. Die Verkrampfung darauf spirituelle Ziele erreichen zu wollen lässt das Leben schnell zu einem unbefriedigendem Krampf werden vor allem dann wenn wir immer wieder feststellen, dass wir es nicht schaffen der tolle Mensch zu sein, der wir sein wollen. Das wir es bereits sind übersehen wir dabei geflissentlich. In der Liebe zu dem was ist, im Erfahren der bereits vorhandenen Fülle und im Anwenden  und Ausleben unserer Schöpferkraft zeigt sich der Sinn des Lebens.

 

Der Ochse Und Sein Hirte

 

Mit einer berühmten Geschichte aus dem Reich der Mitte möchte ich unser Bemühen, unser  Leben zu meistern und zu einer freien, starken, erwachten Persönlichkeit zu reifen. Die Geschichte vom Ochsen und seinem Hirten mit Interprätation ( aus Osterle: Wenn der Bogen zerbrochen ist, dann schieß“) ist in China während der Sung-Zeit entstanden und stammt samt dazugehöriger Bilder von dem Zen-Meister Kuo - an Shih – yuan (um 1150). Der Ochse ist die Symbolfigur für das eigentliche und tiefe Selbst, der Hirte das Wesen Mensch. Am Anfang der Geschichte sind beide – Ochsen und Hirten – getrennt. Sie wachsen erst allmählich zu einer Einheit zusammen.

 

1. Die Suche nach dem Ochsen

 

Verlassen in endloser Wildnis schreitet der Hirte dahin durch wucherndes Gras und sucht seinen Ochsen. Weit fließt der Fluss, fern ragen die Gebirge und immer tiefer ins Verwachsene läuft der Pfad.

Der Leib zu Tode erschöpft und verzweifelt das Herz.

Doch findet der suchende Hirte keine geleitende Richtung.

Im Dämmer des Abends hört er nur Zikaden auf dem –Ahorn singen.

 

Wir haben uns von uns selbst entfremdet, haben das Gefühl für die Einheit verloren. Wir haben zugelassen dass unsere Gedanken sich verselbstständigt haben und uns nun durchs Leben peitschen. Die Sinne sind verwirrt,  verstrickt in Gier, Angst, Unterscheidungen und Bewertungen haben wir uns verlaufen. Zwischen Unruhe und Trägheit sind wir hin und her geworfen. Es ist jedoch das tiefste ureigenste Anliegen des Lebens, das uns umtreibt, Unruhe und Unzufriedenheit aufkommen lässt, so lange, bis wir heimgefunden haben zu uns selbst. In die Verzweiflung dringt ein äußerer ton, der das Herz berührt

 

2. Das Finden der Ochsenspur

 

Unter den Bäumen am Wassergestade

sind hier und dort die Spuren des Ochsen dicht hinterlassen.

Hat der Hirte den Weg gefunden inmitten des dich wuchernden, duftendem Grases?

Wie weit der ochse auch laufen mag bis in den hintersten Ort des tiefen Gebirges:

Eicht doch seine Nase in den weiten Himmel,

dass er sich nicht verbergen kann.

 

Gestern erschien uns der Fluss hinderlich, das Gras verwirrend, die Berge unüberwindbar. Heute sieht alles anders aus. Die Aufgaben des Tages sind unverändert, und doch ist alles anders. Wir ahnen, dass das Wesen, das wir suchen, nicht getrennt ist von dem, was jetzt vor uns liegt. Es ist, als wäre an dem Brett vor den Augen eine kleine Öffnung entstanden. Nachdem wir überall Spuren entdeckt haben, kann uns nichts mehr aufhalten. Voller Energie folgen wir nun der Fährte.

 

3. Das Finden des Ochsen

 

Auf einmal erklingt des Buschsängers helle Stimme oben im Wipfel.

Die Sonne strahlt warm, mild weht der Wind,

am Ufer grünen die Weiden.

Es ist kein Ort mehr, dahinein der Ochse sich entziehen könnte.

So schön das herrliche Haupt mit den ragenden Hörnern, dass es kein Maler ereichte.

 

Durch wenige Augenblicke des Innehaltens vergrößern wir das Loch im Brett und unsere Perspektive wird weiter. Plötzlich hören wir des Buschsängers helle Stimme im Baum, spüren, wie die Sonne und der Wind die Haut berührt, das satte Grün der Wiesen macht trunken, der Gesang der Bogensehne geht  durch Mark und Bein, der Klang der Tastatur am Computer ist wie eine Liebeserklärung und die Schreckensnachrichten der Tagesschaulassen die Tränen fließen: Das Leben hat uns eingeholt, in all den äußeren Erscheinungen, selbst in den kleinsten Nebensächlichkeiten erkennen wir, dass nichts  getrennt ist von der alles umfassenden Wahren Wesensnatur.

 

4. Das Fangen des Ochsen

 

Nach höchsten Mühen hat der Hirte den Ochsengefangen.

Zu heftig noch dessen Sinn, die Kraft noch zu wütend,

um leicht seine Wildheit zu bannen.

Bald zieht der Ochse dahin, steigt fern auf die hohen Ebenen.

Bald läuft er weit in tiefe Stätten der Nebel und Wolken und will sich verbergen.

 

Der Ochse ist wild, kraftvoll und zügellos, zulange war er in der Wildnis, als dass er sich einfach so  von seinen alten Gewohnheiten abbringen lassen könnte. Zu festgefahrenen, hartnäckig und wild sind sie.

Damit das soeben neu entdeckte Leben nicht entgleitet, benötigt es viel Energie, Mut und Geduld.

Nach der ersten Euphorie folgt jetzt das stetige Üben. Immer wieder läuft der Geist weg, verliert sich in Nebel und Wolken der Müdigkeit, der Resignation, der hunderterlei Ausreden, der Verzagtheit und Zweifel. So ist Wachsamkeit geboten, der Ochse ist noch nicht gebändigt, unvermittelt versucht er auszubrechen.

 

5. Das Zähmen des Ochsen

 

Von Peitsche und Zügel darf der Hirte

Seine Hand keinen Augenblick lassen.

Sonst stieße der Ochse

Mit rasenden Schritten vor in den Staub.

Ist aber der Ochse geduldig gezähmt und zur Sanftmut gebracht,

folgt er von selbst ohne Fesseln und Ketten dem Hirten.

 

Das Einfangen des Ochsen war erst der Anfang, jetzt geht es darum, ihn, den ungezähmten Geist, zu zähmen. Dazu muss er genau beobachtet werden. Vorlieben schnell etwas anzufangen, um es genau so eilig wieder fallen zu lassen,  Ichsucht, die nach Anerkennung giert, immer versucht, im Mittelpunkt zu stehen,  Empfindlichkeiten und dein schnelles Gekränkt sein, Neigung,  zur Überforderung, fehlendes Selbstwertgefühl,  Fantasie, Tagträume, deine Fähigkeit und das permanente Gefangensein im Gestern und Morgen all dies darf bewusst wahrgenommen und nun verändert werden, denn nur so gelingt  die Zähmung des Ochsen. Die Aufgabe, an uns zu arbeiten bedarf eines großen Vertrauens. Dass der Ochse ohne Fesseln und Kette dem Hirten folgt, bedeutet, dass es auch in uns etwas gibt, das heil und vollkommen ist. Darauf dürfen wir aufbauen und vertrauen.

6. Die Heimkehr auf dem Rücken des Ochsen

 

Der Hirte kehrt heim auf dem Rücken des Ochsen,

gelassen und müßig.

In den fern hinziehenden Abendnebel

Klingt weit der Gesang seiner Flöte.

Takt auf Takt und Vers auf Vers

tönt die grenzenlose Stimmung des Hirten.

Hört einer auf den Gesang,

braucht er nicht noch zu sagen, wie es dem Hirten

zumute ist.

 

Der Kampf ist zu Ende. Der gezähmte Ochse trägt uns sicher auf seinem Rücken. Wir  brauchen uns nicht um ihn zu kümmern, und wer uns nun sieht, spürt etwas von der neuen Dimension, die LEBEN heißt. Dieser Augenblick ist eine Erfahrung, hinter die  niemand mehr zurückgehen kann und will. Verlockungen oder Drohungen werden bedeutungslos angesichts der Fülle und Schönheit des neu Gewonnen: einfach nur leben!

 

7. Der Ochse ist vergessen, der Hirte bleibt

 

Schon ist der Hirte heimgekehrt auf dem Rücken des

Ochsen.

Es gibt keinen Ochsen mehr.

Allein sitzt der Hirte, müßig und still.

Ruhig schlummert er noch, da doch die rot brennende

Sonne

schon hoch am Himmel steht.

Nutzlose Peitsche und Zügel,

weggeworfen unter das strohene Dach.

 

Welch friedliches Bild. Der Hirte sitzt gelassen vor seiner Hütte. Natürlich gibt es noch Arbeit, und sie muss getan werden. Selbstverständlich gibt es wichtige Entscheidungen, Auseinandersetzungen. Aber der schlummernde Hirte bestätigt das Gefühl, dass diese Dinge ihn nicht mehr besetzen, ihre krank machende Wucht verloren haben. Die Worte, das Tun sind Spiegel der Klarheit des Mondes, und die erarbeitete Stille trägt  ganz selbstverständlich durch den Tag. Der Kampf mit dem Ochsen ist vorbei. Der gezähmte Geist ist nicht mehr Gegenstand des Bemühens. Vielmehr ist er automatisch gegenwärtig, selbstverständlich, dienend, so integriert, transzendiert, als gäbe es ihn nicht mehr

 

8. Die vollkommene Vergessenheit von Ochse und Hirte

 

Peitsche und Zügel, Ochse und Hirte

sind spurlos zu Nichts geworden.

In den weiten blauen Himmel reicht niemals ein Wort,

ihn zu ermessen.

Wie könnte der Schnee auf der rötlichen Flamme

des brennenden Herdes verweilen?

Erst wenn ein Mensch an diesen Ort gelangt ist,

kann er den alten Meistern entsprechen.

 

Nun gibt es keinen Hirten mehr, keinen Ochsen, weder Flöte noch Peitsche. Shunyata – Leere. Alles Gegensätzliche, alle Dualitäten sind abgefallen, sind geschmolzen wie Schneeflocken auf der rötlichen Flamme. Auch Begriffe wie Erleuchtung oder Nicht-Erleuchtung halten der Flamme nicht Stand. Nicht Buddha, nicht Jesus, nicht Hölle, nicht Paradies, weder Erkennen noch Erreichen.

 

9. Zurück gekehrt in den Grund und Ursprung

In den Grund und Ursprung zurückgekehrt,

hat der Hirte schon alles vollbracht.

Nichts ist besser, als jäh auf der Stelle wie blind zu sein und taub.

In seiner Hütte sitzt er und sieht keine Dinge da draußen.

Grenzenlos fließt der Fluss, wie er fließt.

Rot blüht die Blume, wie sie blüht.

 

Hast du hingefunden, heimgefunden zum Leben, ist alles vollbracht. Darüber hinaus gibt es nichts. Unser Verstand kann uns nicht helfen,  das wirkliche Sein zu erfassen. Am Beispiel des Flusses, der einfach fließt und der rot blühenden Blume erkennen wir das Gesetz des Lebens.

Der Fluss ist in diesem Augenblick einfach Fluss, die Rose blüht, weil sie blüht. Fluss und Blume haben eine Entwicklung hinter sich und bleiben nicht, was sie jetzt sind. kein Fluss will eine Blume und keine Blume ein Fluss sein. Gerade deshalb sind beide so authentisch, so echt!

Nicht immer sind wir einverstanden mit dem wie wir sind und was wir sind. Oft genug greifen wir bremsend, beschleunigend ein. Lassen Blumen nicht Blumen und Fluss nicht Fluss sein.

 

10. Das Hereinkommen auf den Markt mit offenen Händen

Mit entblößter Brust und nackten Füßen

Kommt er herein auf den Markt.

Das Gesicht mit Erde beschmiert,

den Kopf mit Asche über und über bestreut.

Seine Wangen überströmt von mächtigem Lachen. Ohne Geheimnis und Wunder zu mühen,lässt er jäh die dürren Bäume erblühen….

 

Der erleuchtete Mensch bejaht nicht nur seine Vergänglichkeit, sondern auch sein Sein. So kommt er in königlicher Gestalt und doch in selbstverständlicher Bescheidenheit herein, barfuss und mit entblößter Brust. Sein Lachen ist ansteckend, seine Gelassenheit und tiefe Heiterkeit machen Mut, seine Demut lässt Raum für eigene Entwicklungen, durch sein Mitgefühl erblühen dürre Bäume. Er zündet ein Licht an, wo die Dunkelheit regiert, setzt ein Zeichen der Hoffnung, wo Verzweifelung quält.

 

Auf den Punkt gebracht

Glück ist wie ein Schmetterling", sagte der Meister. "Jag ihm nach, und er entwischt dir. Setz dich hin, und er lässt sich auf deiner Schulter nieder.""Was soll ich also tun, um das Glück zu erlangen?""Hör auf, hinter ihm her zu sein.""Aber gibt es nichts, was ich tun kann?" "Du könntest versuchen, dich ruhig hinzusetzen, wenn du es wagst."  Unbekannter Zen Meister

Der Weg des Tao, der Weg der Erkenntnis, der Weg des Mitgefühls und der Liebe zu Gott oder der Weg der Tat. Wir sind frei zu entscheiden und wir können uns augenblicklich wieder neu entscheiden. Alle Wege stehen uns offen. Es gibt nicht nur einen Weg.